Bin ich Sängerin?

Schon länger habe ich keinen Blogbeitrag mehr verfasst. Es gab irgendwie nichts, was mir unter den Nägeln brannte, und ich hatte auch wenig Zeit, meinen Gedanken freien Lauf zu lassen und herumzuspinnen. Jetzt ist Freitagabend, und ich habe nichts vor, ich bin nicht todmüde vom Tag, mein Kind schläft, und ich frage mich: was könnte ich tun? Worüber könnte ich schreiben? Und da gibt es doch ein Thema, das mich immer wieder beschäftigt, und das nicht erst, seit ich Mama bin, sondern eigentlich, seit ich beschlossen habe, Gesang zu studieren: was macht eine Künstlerin aus? Wann bin ich Sängerin? Und ist man nur dann eine richtige Sängerin, wenn man sich immer so fühlt?

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Bin ich auch Sängerin, wenn ich gerne auf Parties die letze bin? Von wegen Disziplin und so…

Mein Weg zum Gesang war nicht unbedingt ein leichter, die Aufnahme zum Studium hat nicht sofort geklappt, ich bin gefühlt ewig in diversen Vorbereitungslehrgängen herumgegurkt, ich habe mir im Laufe meiner Aufnahmeprüfungstourneen immer wieder einiges anhören müssen (#metoo), ich habe dann zuerst ein anderes Studium abgeschlossen (Jus, Baby)  und schließlich Gesangspädagogik studiert, vordergründig wegen der besseren Lehrerin, aber sicher auch, weil ich es mir nach 24 Aufnahmeprüfungsrunden (wenn man alle Klavier- und Musiktheorierunden mitzählt) nicht mehr so richtig zugetraut habe, „nur“ auf der Bühne zu stehen. Ich habe im Laufe dieses Studiums entdeckt, dass ich gerne und offenbar auch richtig gut unterrichte, und ich habe zu meiner Stimme gefunden, die dem klassischen Ideal nicht uneingeschränkt entspricht (das Vibrato und ich, wir sind einfach nicht die besten Freunde).

Mein Studium hab ich sehr erfolgreich abgeschlossen, die Engagements, die ich seither habe, erfüllen mich. Ich liebe einfach das Singen in klein besetzten Ensembles, ich liebe die Alte Musik, da fühl ich mich ganz, da fühl ich mich wohl, da kann meine Stimme fließen. Ich habe für Vorsingen nie besonders viel Energie aufgewendet, die Engagements kamen daher, eines führte zum anderen, und ich hatte und habe neben dem Unterrichten immer genug zu tun, um mich auch künstlerisch zu verwirklichen. Nur unterrichten, das ginge nicht, das weiß ich genau. Da wüsste ich irgendwann nicht mehr, was ich überhaupt vermitteln sollte. Umgekehrt habe ich es auch immer genossen nicht „um mein Leben singen“ zu müssen, auch mal was abzusagen, weil ich darauf keine Lust hatte oder weil ich lieber in Urlaub fahren oder den Geburtstag meines Opas feiern wollte. Ich habe meine Prioritäten anders gesetzt. Und trotzdem nagte und nagt diese Frage manchmal an mir: bin ich überhaupt eine Künstlerin? Muss da nicht mein Leben dran hängen?

Ich weiß auch nicht, ob es nur mir so geht. Jeder hat mal „dry spells“, also Zeiten, in denen es nicht so rund läuft, oder wo einfach weniger zu tun ist, und ich muss ehrlich sagen: ich genieße das! So wie jetzt gerade. Mein letztes Konzert ist ein Monat her, zum nächsten sind es noch gut zwei Wochen hin, ich kann verschnupft sein ohne nervös zu werden, ich kann Wäsche auf meinem Klavier zuhause lagern, alles kein Problem. Aber macht mich das zu einer schlechteren Künstlerin? Oder verwirke ich damit überhaupt meinen Anspruch, als Sängerin, als Künstlerin zu gelten?

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Helene denkt sich: ernsthaft, Mama? Hast du keine anderen Probleme?

Gerade kann ich mich auch nicht beschweren, dass ich zu wenig zu tun hätte. Ich unterrichte 15 Stunden in der Woche, meine 1 1/2jährige Tochter Helene absolviert gerade mit uns abwechselnd ihre Kindergarteneingewöhnung, ganz ohne Stress, wir genießen das Herbstwetter auf diversen Spielplätzen und im Wald, kochen und essen gut und päppeln uns für den sicher noch kommenden Winter auf, die Wohnung ist in recht annehmbarem Zustand, meine Steuererklärung ist erledigt, alles ist gut. Und dann kommt sie wieder, diese Frage: bin ich Sängerin? Reicht es gerade, dass ich eine Homepage habe, auf der das steht, reicht es, dass ich Newsletter für eines meiner Ensembles verfasse und für ein anderes ein Crowdfunding für ein kommendes Konzert ansteht, reicht es, wenn ich heute nur mit meiner Tochter Herbstlieder im Wald gesungen habe? Und falls ja oder falls nein, ist das überhaupt wichtig?

Interessant ist ja, dass das in Deutschland anders gehandhabt wird als in Österreich. In Deutschland bist du Künstlerin, auch wenn du mehr durch Gesangsunterricht verdienst als durch das Singen selbst. Künstlerischer Unterricht zählt als künstlerische Tätigkeit, und du darfst dich bei der KSK versichern. Punkt. In Österreich zählt ebendieser Unterricht nicht als künstlerische Tätigkeit, und wenn du frei schaffend bist und mehr unterrichtest als singst, dann bist du bei der SVA versichert, mit allen Rechten und Pflichten, so wie jeder andere Unternehmer auch. Das ist unfair, weil ich ja kein Unternehmen habe, das wachsen soll, und ich will auch keine Leute anstellen, ich möchte einfach nur das arbeiten, was ich fast ein Jahrzehnt lang studiert habe, und davon leben können. Von einer Pension reden wir hier ja noch gar nicht. Also zähle ich jetzt in Deutschland als Künstlerin und in Österreich nicht, streng genommen.

Ich hab mir angewöhnt, diesen Gedanken auch recht bald wieder ein Ende zu bereiten, weil es ja eigentlich komplett egal ist. Es ist ein Privileg, diesen Beruf auszuüben, egal, wie man ihn benennt, und wenn man mich fragt, was ich mache, sage ich meistens „ich bin Gesangspädagogin und Sängerin“, und manchmal drehe ich die zwei Begriffe auch um, wie’s halt kommt. Interessant fände ich nur zu wissen, wie es anderen damit geht. Machen sich alle da drüber Gedanken, oder geht es nur mir mit meinem etwas kurvigen Weg zu meinem Beruf so? Selbstbewusst aufzutreten gehört ja auch zur Profession, da redet es sich vielleicht nicht so einfach drüber.

Vielleicht ist es ja aber auch generell ein Merkmal unserer Generation, dass Berufe Berufe sind, nicht mehr und nicht weniger, und dass diese Berufe – so schön sie auch sein mögen, und so gern wir sie auch ausüben und so sehr wir dafür brennen – einfach nicht das wichtigste sind im Leben. Und vielleicht verändert sich der Künstlerbegriff auch dahingehend ein wenig, dass einem nicht mehr alles abverlangt werden kann, weil schließlich ist man ja Künstler, und das steht über allem. Das tut es nämlich nicht, Familie, Freunde, Lieben, Leben, das alles steht nochmal weit darüber. Und darum ist für mich auch der Teil am Künstlersein am wichtigsten, wo sich der Beruf mit dem Sozialen vermischt. Es gibt nämlich ein Ensemble, das ist für mich wie Familie, für die würde ich fast alles tun, nur leider sehen wir uns momentan viel zu selten. Das ist die Vokalakademie Berlin, und wir führen im Dezember in Freiburg ein Weihnachtsoratorium für Kinder auf, das soooooo schön wird. Wir machen auch gerade für dieses Konzert ein Crowdfunding, schaut euch mal das Video an, das ist einfach großartig. Da freu ich mich jetzt schon wie ein Schnitzel, dass ich dann fünf Tage lang in Freiburg bin, Tochter und Mann zuhause in Wien, und ich nur Sängerin.

Also doch.

4 Kommentare zu „Bin ich Sängerin?“

  1. Oh, dieses Gefühl kenne ich auch. Bin ich Künstlerin oder Handwerkerin? Ich ducke mich immer weg, wenn mich jemand „Künstlerin“ nennt. „Nein“, sage ich da immer. „Künstler sind die, die ihr Leben nach der Kunst ausrichten. Ich bin Keramikerin und mache nebenbei ein wenig Hobby-Kunst.“ Für die „echte Kunst“ bleibt mir nicht genügend Zeit. Und dann drängelt es mich doch wieder. Dann muss ich mich ausdrücken in meinem Material – nicht für den Verkaufsraum – für mich. Dann muss ich gestalten, malen, schreiben. Ist das Kunst? Ich weiß es nicht. Vielleicht sollten wir’s einfach so machen, wie es uns glücklich macht. Liebe Grüße,
    Christine

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    1. Ja, absolut! Es ist ja so oder so ein wahnsinniges Privileg, dass wir machen, was wir machen. Und dass wir uns quasi ausschließlich mit Schönem beschäftigen dürfen!

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  2. DANKE für diesen tollen Beitrag!
    Ich bin zwar keine „studierte Sängerin“ wie Du, singe aber für mein Leben gerne, habe viele Jahre Gesangsunterricht hinter mir und komme jetzt langsam zu der Erkenntnis, dass das Singen einfach ALLES für mich ist und ich das weiter voran treiben möchte.
    Aber, ich bin 3-fach Mama und komme immer wieder in den Gewissenskonflikt, verfolge ich meinen großen Traum weiter oder stelle ich ihn noch zurück aufgrund unserer, noch kleinen, Kinder?

    Dein Beitrag ermutigt mich, weiter zu machen, danke dafür!!☺️

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